Brief aus dem Jahre 1920

Ivo Andrîc, nobelpristagaren som varnat

Brief aus dem Jahre 1920.
Auszug einer Novelle v. Ivo Andrîc

März, im Jahr 1920. Der Bahnhof von Slavonski Brod. Mitternacht war vorbei. Der Wind pfiff aus einer unbestimmbaren Richtung. Er erschien den von der Reise ermüdeten und unausgeschlafenen Menschen noch kälter und stärker, als er wirklich war. Am Himmel zogen Sterne zwischen den wirbelnden Wolken vorbei. In der Ferne bewegten über unsichtbaren Gleisen bald schnell, bald langsam gelbe und rote Lichter, und die durchdringenden Pfiffe der Schaffnerpfeifen und die langgezogenen Pfiffe der Lokomotiven drangen herüber. Sie wehten Melancholie in die Ermüdung und Einsamkeit unseres langen Wartens.
Wir sassen vor dem Bahnhof neben dem ersten Gleis auf unseren Koffern und warteten auf den Zug, dessen Ankunfts- und Abfahrtszeit uns unbekannt war. Wir wussten nur, dass er gedrängt voll von Reisenden und Gepäck sein würde.
Der Mann, der neben mir sass, war ein alter Bekannter und Freund von mir, den ich in den letzten fünfzehn Jahren aus dem Augen verloren hatte.
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Ich komme gleich zur Sache. Bosnien ist ein herrliches, interessantes und keineswegs gewöhnliches Land, sowohl was seine Landschaft betrifft als auch seine Menschen. Und wie sich dort unter der Erde so manche Bodenschätze finden, so verbirgt auch der bosnische Mensch in sich mancherlei moralische Tugend, die man bei seinen Landsleuten in den anderen Gebieten Jugoslawiens seltener antrifft. Aber siehst Du, es gibt dort etwas, was die Menschen Deiner Art nicht ausser acht lassen dürften: Bosnien ist ein Land der Angst und des Hasses. Lassen wir die Angst beiseite, die nur ein Korrelativ des Hasses ist, sein natürliches Echo. Sprechen wir vom Hass. Ja, vom Hass. Auch Du zuckst instinktiv zusammen und protestierst, wenn Du dieses Wort hörst (wie ich schon in jener Nacht auf dem Bahnhof gesehen habe), wie jeder von Euch sich dagegen wehrt, das zu hören, zu begreifen und einzusehen, aber es handelt sich gerade darum, dass man es einsehen, festhalten und analysieren muss. Dass Unglück besteht darin, dass niemand dies tun kann und will. Denn das fatale Charakteristikum dieses Hasses liegt darin, dass der bosnische Mensch sich seiner gar nicht bewusst ist, obwohl er in ihm lebt; dass er es vermeidet, den Hass zu analysieren, und jeden hasst, der versucht, es zu tun. Und doch ist es eine Tatsache: in Bosnien und der Herzegowina gibt es mehr Menschen, die aus verschiedenen Motiven und mit den verschiedensten Ausreden in den Ausbrüchen dieses unbewussten Hasses bereit sind zu töten und sich töten zu lassen, als in anderen, an Bewölkerungszahl und Raum viel grösseren Ländern, seien es slawische oder nicht.

Ich weiss, dass der Hass, ebenso wie der Zorn, eine bestimmte Funktion in der Entwicklung der Gesellschaft erfüllt: der Hass gibt Kraft, und der Zorn ist ein Motor. Es gibt veraltete und tief eingewurzelte Ungerechtigkeiten und Missbräuche, die nur eine Flut von Hass und Zorn ausrotten und ortschwemmen kann. Wenn die Flut zurückgeht und verschwindet, bleibt Platz für die Freiheit und die Erschaffung eines besseren Lebens. Die heutigen können den Hass und den Zorn besser sehen, weil sie darunter leiden, aber die Künftigen werden nur die Früchte dieser Kraft und dieser Bewegung sehen. Ich weiss das gut. Aber das, was ich in Bosnien gesehen habe, ist etwas ganz anderes. Es ist nicht Hass als Moment der gesellschaftlichen Entwicklung und damit als ein unvermeidlicher Teil des historischen Prozesses, sondern ein Hass, der als selbständige Kraft auftritt und in sich selbst sein Ziel findet. Ein Hass, der den Menschen gegen den Menschen hetzt und dann beide Gegner zugleich in Elend und Unglück stürzt oder unter die Erde bringt. Ein Hass, der wie Krebs im Organismus alles um sich her zerstört, aber am Ende selbst der Vernichtung anheimfällt, denn ein solcher Hass hat ebenso wie die Flamme keine beständige Form und kein Leben aus eigenem. Er ist ein Instrument des Vernichtungswillens und des Selbstvernichungstriebs. Er existiert nur in dieser Form und nur so lange, bis seine Aufgabe, die der vollständigen Vernichtung, erfüllt ist.

Ja, Bosnien ist das Land des Hasses. Das ist Bosnien. Doch nach jenem seltsamen Widerspruch, der eigentlich gar keiner ist und sich bei aufmerksamer Betrachtung leicht erklären liesse, kann man ebensogut sagen, dass es wenige Länder gibt, in denen man so viel festen Glauben, so viel erhabene Beständigkeit des Charakters, so viel Zärtlichkeit und leidenschaftliche Liebe, so viel Gefühlstiefe, Anhänglichkeit und unerschütterliche Ergebenheit und so viel Hunger nach Gerechtigkeit finden kann. Unter all diesen Eigenschaften aber verbergen sich in undurchsichtigen Tiefen Stürme des Hasses, ganze Orkane gespannter, gedrängter Hassgefühle, die reifen und auf ihre Stunde warten. Zwischen Eurer Liebe und Eurem Hass besteht dasselbe Verhältnis wie zwischen Euren hohen Bergen und den tausendmal grösseren und schwereren unsichtbaren Erdschichen, auf denen sich diese Berge ruhen. Und so seid Ihr dazu verurteilt, über den tiefen Eruptionsschichten zu leben, die von Zeit zu Zeit gerade von den Funken dieser Eurer Liebe und Eurer leidenschaftlichen und grausamen Gefühle zur Explosion gebracht werden. Vielleicht liegt Euer grösstes Unglück gerade darin, dass Ihr nicht einmal ahnt, wieviel Hass in Eurer Liebe liegt, in Eurer Begeisterungsfähigkeit, Eurer Tradition und Eurer Religiosität. Und wie der Boden, auf dem wir leben, unter der Einwirkung der atmosphärischen Feuchtigkeit und Wärme Einfluss auf unseren Körper nimmt, ihm Farbe und Aussehen verleiht, unseren Charakter, unsere Lebensart und unsere Handlungsweise bestimmt, genauso durchdringt der mächtige unterirdische und unsichtbare Hass, auf dem der bosnische Mensch beruht, ganz unbemerkt und indirekt auch seine besten Taten. Sünden rufen überall auf der Welt Hass hervor, weil sie verzehren und nicht produktiv sind, weil sie zerstören und nicht aufbauen. Aber in Ländern wie Bosnien leben selbst die Tugenden vom Hass, Eure Asketen sublimieren aus ihrer Askese nicht Liebe, sondern Hass auf die Wüstlinge; Eure Abstinenzler hassen die Trinker, und die Trinker nähren einen tödlichen Hass auf die ganze Welt. Jene, die glauben und lieben, hegen tödlichen Hass gegen alle, die nicht glauben oder etwas anderes glauben oder anderes lieben. Der Grossteil ihres Glaubens und ihrer Liebe verbraucht sich leider im Hass. (Die meisten bösen und finsteren Gesichter findet man um die Bethäuser, Klöster und Kneipen.) Jene, die wirtschaftlich Schwächere unterdrücken und ausbeuten, verstärken ihre Handlungen noch mit Hass, der die Ausbeutung noch hundertmal drückender und hässlicher macht, und jene, die diese Ungerechtigkeit ertragen müssen, träumen von Gerechtigkeit und von Vergeltung wie von einer rächenden Explosion, die, wenn sie nach ihren Wünschen ausfiele, so mächtig wäre, dass sie den Unterdrückten zusammen mit dem verhassten Unterdrücker vernichtet. Die meisten von euch sind schon daran gewöhnt, die ganze Wuch des Hasses gegen jene zu richten, die in Eurer Nähe sind. Eure geliebten Heiligtümer befinden sich regelmässig hinter dreihundert Flüssen und Bergen, und die Objekte Eures Absceus und Eures Hasses sind gleich neben Euch, in derselben Stadt, oft nur auf der anderen Seite der Hofmauer. So verlangt Eure Liebe nicht viele Taten, aber Euer Hass geht sehr leicht in die Tat über. Ihr liebt Euer Land, Ihr liebt es glühend, aber auf drei, vier verschiedenen Arten, die einander ausschliessen, tödlich hassen und oft genug aneinandergeraten.
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Ich habe viel darüber nachgedacht, besonders in den letzten Monaten, als ich noch mit dem Gedanken gespielt habe, für immer in Bosnien zu bleiben. Es ist verständlich, dass ein Mensch, dem solche Gedanken durch den Kopf gehen, nicht gut schlafen kann. Auch ich lag unter dem offenen Fenster in dem Zimmer, in dem Zimmer, in dem ich geboren bin. Draussen rauschten abwechselnd die Miljatzka und der frühe Herbstwind, der durch die Blätter fuhr.

Wer in Sarajevo die Nacht durchwacht, kann die Stimmen der Nacht von Sarajevo hören. Schwer und sicher schlägt die Uhr an der katholschen Kathedrale: zwei nach Mitternacht. Es vergeht mehr als eine Minute (ich habe genau 75 Sekunden gezählt), und erst dann meldet sich, etwas schwächer, aber mit einem durchdringenden Laut die Stimme von der orthodoxen Kirche, die nun auch ihre zwei Stunden schlägt. Etwas später schlägt mit einer heiseren und fernen Stimme die Uhr am Turm der Beg-Moschee, sie schlägt elf Uhr, elf gespenstisch türkische Stunden, die nach einer seltsamen Zeitrechnung ferner, fremder Gegenden dieser Welt festgelegt worden sind. Die Juden haben keine Uhr, die schlägt, und Gott allein weiss,
wie spät es bei ihnen ist,
wie spät nach der Zeitrechnung der Sepharden und nach derjenigen der Aschkenasen.

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översatt till svenska finns novellen i boken Snörmakare Aljo får en idé Nydeå förlag, 1995. Adress till förlaget: Pl 2210, 280 70 Lönsboda. Tfn 0479-50058. Torsten Sjöfors har översatt direkt från serbo-kroatiska.

Slavonski Brod, miljön i novellens inledning, ligger på norra sidan av Sava och var länge den sydligaste utposten i kejsardömet österrike-Ungern. På andra sidan floden ligger Bosanski Brod. Inte bara en annan spårvidd, en annan värld. Den orientalt-muhammedanska, med 500 år av medeltid, Paschor och osmanskt, grymt välde.

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Aldrig, aldrig rätt att bomba!

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Ivo Andric was born in the village of Trávnik in Bosnia (then in the Austro-Hungarian Empire). His father died when he was three years old. Andric was raised by his mother and aunt, and had a strict Roman-Catholic upbringing. He was educated at schools in Vísegrad and Sarajevo in 1898-1912. In his youth Andric joined the revolutionary nationalist student organization Mlada Bosna (Young Bosnia), and was arrested when Gavrilo Princip assassinated Archduke Francis Ferdinand of Austria in 1914. He was sentenced to three years in prison and devoted his time to reading the works of Fedor Dostoyevsky and Sören Kierkegaard.

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Hem     —     Upp     —    In Fernem Land   —   Jussi Björling sjunger

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URL: http://www.ejnar.se/balkan/Bosnien_Brief.html